Foto: Kirsten Oborny, Stuttgart

Bedeutet »Evidenzbasierte Medizin« »wissenschaftliche Medizin«?

Nein!

Evidenzbasierte Medizin (EbM) wird nach der Definition des kanadischen Wissenschaftlers David L. Sackett und des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) so definiert:

„EbM ist der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten.“ (1)

EbM basiert auf drei Grundprinzipien:

1. Wissenschaftliche Evidenz durch Studien und Literatur
2. Klinische Erfahrung und Expertise des Therapeuten
3. Berücksichtigung der Bedürfnisse und Erfahrungen des Patienten

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) betont die Bedeutung der Erfahrung der Behandelnden. Um ihre Patientinnen und Patienten medizinisch gut zu versorgen, verlassen sich Ärztinnen und Ärzte neben ihrer Erfahrung und ihrem Fachwissen auf wissenschaftlich fundierte Empfehlungen der evidenzbasierten Medizin. Dabei werden auch die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten berücksichtigt. (2)

Gute und fundierte Aufklärung ist dabei unerlässlich:
„Verlässliche und verständliche Gesundheitsinformationen helfen Betroffenen, sich zu ihren gesundheitlichen Fragen zu informieren, damit sie über ihre Behandlung mitentscheiden können.“ (3)

Von zentraler Bedeutung für die evidenzbasierte Medizin ist die Kombination aus klinischem Fachwissen und Erfahrungen der Behandelnden und dass sie die Präferenzen der Patientinnen und Patienten berücksichtigen.

Die wissenschaftliche Evidenz ist damit nur eine von mehreren Säulen der EbM.

„Wissenschaftlich = wahr?“

So einfach ist es nicht.

Wissenschaftliche Erkenntnis unterliegt stetigem Wandel. Manchmal führt sie zu drastischen Fehlurteilen mit weitreichenden Konsequenzen. Ein Beispiel aus der Medizingeschichte: Neugeborene wurden bis in die 1980er Jahre ohne Narkose operiert, denn es galt als wissenschaftlich gesichert, dass Babys keine Schmerzen empfinden können. Neuere Untersuchungen an Babys belegten: Das Schmerzempfinden von Babys ist sogar um ein Vielfaches stärker als das von Erwachsenen. (4)

Das bedeutet: Eine Annahme, die heute noch nicht wissenschaftlich nachweisbar ist, kann trotzdem wahr sein.
Quellen

(1) David Sackett et al. 1996: Evidence based medicine: what it is and what it isn’t. BMJ 312: 71-72

(2) Evidenzbasierte Medizin (EbM) https://gesund.bund.de/evidenzbasierte-medizin-ebm

(3) Evidenzbasierte Medizin (EbM) https://gesund.bund.de/evidenzbasierte-medizin-ebm

(4) Neugeborene fühlen Schmerzen stärker als Erwachsene, Ärzteblatt, April 2015,
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/62565 (Abrufdatum 1.5.2023)

Bildquellen: © Foto: Kirsten Oborny, Stuttgart | Grafik: Flaticon, Claudia Schlutter

Eine Säule der Evidenzbasierten Medizin ist der Wunsch der Patientinnen und Patienten. Ein umfangreiches Aufklärungsgespräch ist hierfür die Basis. (Foto: Kirsten Oborny)

Achtung Verwechslungsgefahr! »Evidenzbasierte Medizin« ist nicht »wissenschaftliche Medizin«!

Der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit ist nur eine von drei Säulen der Evidenzbasierten Medizin (EbM)

Immer wieder wird der Heilpraktikerschaft vorgeworfen, ihre Diagnose- und Therapieverfahren seien nicht evidenzbasiert – und das klingt so, als ob diese Methoden allesamt nicht wissenschaftlich anerkannt seien. Auch fordern Politiker regelmäßig, dass ausschließlich evidenzbasierte medizinische Maßnahmen durchgeführt werden.

Doch Vorsicht! Hier gibt es oft Missverständnisse, denn die Begriffe „wissenschaftlich bewiesen“ und „evidenzbasiert“ bedeuten keineswegs das Gleiche!

Die Wissenschaftlichkeit bzw. der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit eines Verfahrens ist nämlich nur eine von drei Säulen der sogenannten Evidenzbasierten Medizin (EbM). Von zentraler Bedeutung für die evidenzbasierte Anwendung eines medizinischen Verfahrens in der heilpraktischen oder ärztlichen Praxis ist die Kombination aus dem klinischem Fachwissen und den Erfahrungen der Behandelnden, die außerdem bei der Wahl ihrer Therapieverfahren die Präferenzen der Patientinnen und Patienten berücksichtigen.

Erfahrung bahnt oft den Weg für Wissenschaftlichkeit

Es gibt zahlreiche traditionelle und moderne, komplementäre Methoden, deren Wirksamkeit durch randomisierte klinische Studien belegt und die sogar von der UNESCO oder der WHO anerkannt sind. Dass eine Methode (noch) nicht anerkannt oder ihre Wirksamkeit (noch) nicht durch Studien bestätigt wurde, heißt nicht automatisch, dass sie nicht wirksam ist.

Erfahrungsheilkundler sind oft die Vorreiter therapeutischer Methoden. Zwei Beispiele: Die Mikrobiologische Therapie zur Wiederherstellung eines gesunden Darmmilieus („Wiege der Gesundheit“) und die Einbeziehung der Faszientherapie in die Behandlung von Schmerzen haben in den letzten Jahren einen regelrechten Hype erfahren. Mittlerweile gibt es zur Wirksamkeit viele Belege durch Studien. Die universitär-wissenschaftliche Medizin nimmt diese Erkenntnisse nun gerne für sich in Anspruch. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass diese Verfahren schon seit Jahrzehnten sehr erfolgreich in Heilpraktikerpraxen eingesetzt werden, weil sie erfahrungsgemäß gut wirken und weil die Patientinnen und Patienten sich auf der Basis eines umfassenden Aufklärungsgespräches für diese Verfahren entscheiden.

Lesen Sie hierzu die Stellungnahme der Gesamtkonferenz Deutscher Heilpraktikerverbände & Fachgesellschaften, in der diese Begriffe verständlich erläutert werden und deren Definition mit anerkannten Quellen belegt werden.

Quellen:

David Sackett et al. 1996: Evidence based medicine: what it is and what it isn’t. BMJ 312: 71-72
Evidenzbasierte Medizin (EbM) https://gesund.bund.de/evidenzbasierte-medizin-ebm

Bildquelle: © Foto: Kirsten Oborny, Stuttgart